Aretaios von Kappadozien
Eine rätselvolle Krankheit ist der Diabetes, und nicht sehr häufig bei den Menschen. Fleisch und Bein schmilzt im Urin zusammen, Feuchtigkeit und Kälte ist die Veranlassung wie bei der Wassersucht, aber die Flüssigkeit geht auf dem gewohnten Weg durch Nieren und die Blase ab.
Die Kranken hören nie auf Harn zu lassen, sondern wie aus geöffneten Schläuchen rinnt es unaufhörlich.
Über die Entstehung und Entwicklung der Krankheit dauert es einige Zeit, aber sind die Symptome erst vollkommen ausgebildet, so befindet sich auch der Mensch am Ende seiner Tage, denn dann nimmt die Abzehrung rasch überhand, und nach einem elenden und schmerzvollen Leben erfolgt der schnelle Tod.
Die Kranken haben einen unauslöschlichen Durst und trinken und harnen sehr viel. Indessen übersteigt die Quantität des gelassenen Urins doch noch die des Getränks.
Versuche auch nicht, sie vom Harnen oder Trinken abzuhalten, denn wenn sie auch nur auf kurze Zeit sich des Trinkens enthalten, so wird alsbald der Mund trocken, der Körper verdorrt und es ist ihnen, als wenn die Gedärme verbrennen. Sie führen ein elendes, weinerliches Leben und sterben nach gar nicht langer Zeit, denn der Durst quält sie wie loderndes Feuer. Im Beginn der Krankheit ist der Mund trocken, der Speichel weiß und schaumig wie bei durstenden Menschen, aber noch ist kein Durst vorhanden. Nimmt das Übel zu, so tritt eine zwar geringe, aber beißende Hitze in den Eingeweiden auf. Der ganze Körper magert ab, der Urinabgang wird reichlicher, der Durst wird immer heftiger.
An dieser Stelle eine kurze Erläuterung des Begriffes "Diabetes mellitus": "Diabetes" wurde vom griechischen "diabainein" abgeleitet, einem militärischen Wort für "ausschreiten". Später dann, zu den Zeiten von Aretaios, wurde das Wort synonym für den Weinheber oder auch "syphon", also ein Gerät, durch den der Wein aus dem Fass in den Krug floss verwandt. Dieser "Durchfluss beschreibt das Verhalten des Wassers im Körper eines (unbehandelten) Diabetikers. "Mellitus" ist die lateinische Schreibweise des griechischen "mellitos", was soviel wie "honigsüß" bedeutet. |
Und daher auch hat, wie ich glaube, die Krankheit den Namen Diabetes erhalten, als wenn sie ein Weinheber wäre, weil nämlich die Flüssigkeit nicht im Körper bleibt, sondern den Menschen wie eine Röhre benutzt, durch welche sie abfließen kann.
Der Diabetes wird dadurch hervorgebracht, dass irgendeine akute Krankheit sich auf diesen Teil (den Magen) warf und bei der Krise unvermerkt einen schädlichen Stoff im Körper zurück ließ. Nicht unwahrscheinlich ist auch, dass eine giftige Materie sich in der Blase und Niere festsetzt und dazu Veranlassung gibt. Und ferner entsteht die Krankheit durch den Biss jener Schlange, welch Dipsas, die Durstnatter, genannt wird.“
Mit diesen Worten beschrieb Aretaios von Kappadozien vor fast 2000 Jahren die „Zuckerkrankheit“ und erfasste damit sehr eindrucksvoll die Leitsymptome, die dem unbehandelten Diabetes eigen sind:
- Polydipsie (übermäßiger Durst)
- Polyurie (übermäßiger Harndrang)
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