Prandiales Insulin
Natürlich haben auch insulinpflichtige Diabetiker hin und wieder Hunger und wollen etwas essen.
Anders als der Gesunde müssen sie allerdings diese Mahlzeiten einplanen und/oder berechnen, wenn der BZ davon nicht allzu stark ansteigen soll.
Auf den Unterschied zwischen Lebensmitteln, die für das Insulin angerechnet werden müssen und solchen, die man auch ohne Anrechnung essen kann möchte ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen. Auch nicht auf die Therapieformen, die eine feste Menge an Kohlenhydraten zu festgelegten Uhrzeiten erfordern (wie z.B. die ursprüngliche konventionelle Therapie CT).
Hier soll es um die Diabetiker gehen, die Uhrzeit und Menge ihrer Mahlzeiten selbst festlegen und dann dafür eine entsprechende Menge kurzwirkendes Normalinsulin oder Analoga spritzen oder pumpen.
Diese Insulindosis muss ja definiert werden, und dazu gilt es einige Regeln zu kennen und zu beachten, die ich im Folgenden mal auflisten und erklären will:
Uhrzeit:
Wie ja schon an anderer Stelle erklärt gibt es tageszeitabhängige Schwankungen im Insulinbedarf. So ist er bei den meisten Menschen morgens am höchsten, mittags geringer, nimmt zum Abend hin wieder zu und ist nachts am geringsten.
Diese Schwankungen fließen natürlich auch in die Berechnung des Mahlzeitenbolus ein. Es ergibt sich ein unterschiedlicher BE-Faktor für die verschiedenen Tageszeiten.
(Der BE-Faktor ist die Menge an Insulin, die zur Abdeckung einer BE gebraucht wird. Meine Faktoren sind z.B. 3 - 1,5 - 1,8 für morgens - mittags - abends)
Menge der Kohlenhydrate:
Neben der Uhrzeit ist das einer der wichtigsten Faktoren, die zu berücksichtigen sind. Aber nicht allein wegen der Funktion als Multiplikator, sondern auch wegen der Insulinmenge, den diese Multiplikation ergibt. Wie ja bereits im Kapitel "Korrekturbolus" erwähnt beeinflusst eine größere Menge subkutan gespritztes Insulin auch die Resorptionsgeschwindigtkeit.
Mitunter kann es soweit kommen, dass die Kohlenhydrate aus der Nahrung schneller ins Blut gelangen als das Insulin aus dem subkutanen Reservoir. (Wann dieser Fall eintritt ist abhängig von der Insulindosis, der Größe der Mahlzeit, dem glykämischen Index und anderen Faktoren wie z.B. einer Magenentleerungsstörung)
Und das will man ja eigentlich vermeiden, denn der Idealfall ist, wenn beide Stoffe zur selben Zeit im Blut auftauchen. Ungefähr wie beim Händewaschen, bei dem es ja auch von vielen als angenehm empfunden wird, wenn kaltes und warmes Wasser gleichzeitig und im richtigen Mischungsverhältnis vorhanden sind.
Wahl der Injektionsart:
In der Bauchhaut wird das Insulin schneller resorbiert als in der Haut über den Oberschenkeln, bzw. Oberarmen. (Manche haben sogar gelernt sich Insulin intravenös (i.v./in die Vene) oder intramuskulär (i.m./in den Muskel) zu spritzen, was natürlich nur mit Spritzen, nicht aber mit Pen oder Pumpe geht. Allerdings kann man hier mit einer falschen Technik einiges an Problemen heraufbeschwören, weswegen man diese Methoden nur nach sorgfältiger Schulung anwenden sollte)
Wird die Stelle anschließend massiert, so kommt es durch eine Verbesserung der Durchblutung auch zu einem schnelleren Wirkungseintritt. Insbesondere im Winter bei kalter Haut kann das von Vorteil sein.
Höhe des Ausgangs-BZs:
Das ist ein Punkt, der von vielen zu wenig beachtet wird. Zwar gehen diese auch noch bei der Berechnung der Insulindosis korrekt vor (sie addieren zum Mahlzeitenbolus den benötigten Korrekturbolus), doch übersehen sie, dass es oftmals besser ist den Korrekturbolus allein zu spritzen und mit der Mahlzeit etwas zu warten, bis man dann in einer erneuten Injektion vor dem Essen den Mahlzeitenbolus zu spritzen.
Liegt der Ausgangs-BZ vor der Mahlzeit (der präprandiale BZ; prä = vor; prandial = die Mahlzeit betreffend) um wenige mg/dl höher als der Ziel-BZ, dann kann man auch beide Dosen auf einmal spritzen. Aber ab ungefähr 200mg/dl (so meine Erfahrung) ist es lohnenswert, die Mahlzeit etwas zu verschieben und erst dem Korrekturbolus ein wenig Zeit zu geben um zu wirken.
Für viele ist das aber auch nur eine schöne These, die sich nicht im Alltag umsetzen lässt (z.B. bei festen Pausenzeiten während der Arbeit). Hier kann man sich anders behelfen: man macht sich einfach den Umstand zunutze, dass kleine Insulinmengen schneller in die Blutbahn gelangen. Ein Splitting in Einzeldosen, die nicht größer als 6 bis 7 I.E. sind kann da schon einen Vorteil für den nach der Mahlzeit entstehenden BZ (den postprandialen BZ; pp-BZ; post = nach) haben.
Es kann aber auch der Fall eintreten, dass der Ausgangs-BZ sehr niedrig ist; manchmal knapp über der Hyposchwelle. In diesem Fall sollte man auf keinen Fall einen Spritz-Ess-Abstand einhalten. Unter Umständen ist es dann sogar ratsam erst zu essen und dann zu spritzen!
Größe der Mahlzeit:
Hiermit meine ich jetzt nicht die Frage "Wieviel KH/BE/Kalorien hat die Mahlzeit" sondern vielmehr die volumenmäßige Größe. Ist der Magen nämlich besonders gut gefüllt, so verlangsamt das den Zerkleinerungs- und Transportvorgang. Die Folge: der Nahrungsbrei kommt etwas später und/oder verzögert im Darm an und die Glucose landet später im Blut.
Es gibt aber auch Personengruppen, die mit der Transportgeschwindigkeit durch Zusatzerkrankungen ihre Probleme haben. Ich denke da an Menschen, die zusätzlich zum Diabetes noch eine Gastroparese (=verlangsamter Transport des Mageninhalts) haben. Oder solche, die nach einer Operation nur noch einen Teil ihres Magens oder gar keinen Magen mehr haben.
Während die erste Gruppe ihren Mahlzeitenbolus u.U. erst nach dem Essen abgibt, so ist bei der letzteren ein längerer Spritz-Ess-Abstand erforderlich.
Glykämischer Index:
Was das ist habe ich in der Physiologie-Sektion erklärt.
Wie sich das auswirken kann habe ich am eigenen Leib erfahren: ich esse gerne Reibekuchen. Das sind geriebene Kartoffeln, die mit Mehl und Gewürzen vermischt in Fett schwimmend frittiert werden. Wenn die auf den Teller kommen, dann haben sie noch jede Menge Fett an sich (was ja wie erwähnt den GI (=glykämischer Index) senkt).
Ich habe einmal 6 Reibekuchen gekauft, die von der Größe her einer mittelgroßen Kartoffel entsprachen. Also habe ich sie pro Stück mit einer BE eingestuft und daher mit 9 I.E. Insulin (es war mittags und mein BE-Faktor ist dann 1,5) abgedeckt. Sie waren köstlich, aber nach ca. einer Stunde hatte ich eine mordsmäßige Hypoglykämie, die nur schwer in den Griff zu bekommen war!
Was war passiert?
Es sind zwei widrige Umstände aufeinandergetroffen: erstens ist durch die große Fettmenge der GI drastisch gesenkt worden, denn das Fett hat dafür gesorgt, dass sich die Magen-Darm-Bewegung verlangsamt hat. Der Nahrungsbrei kam also erst verspätet im Darm an (und konnte dort die Glucose ebenso verspätet ins Blut abgeben), während das Insulin ganz normal resorbiert wurde und seine Wirkung entfaltet hat.
Zweitens verhinderte die noch immer gehemmte Magen-Darm-Bewegung, dass die Not-BE gegen die Hypo vom Darm ins Blut abgegeben werden konnte. Ich habe mir damit behelfen können, dass ich die Glukoselösung so lange wie möglich im Mund behalten habe, denn auch von dort aus kann sie schon langsam ins Blut gelangen.
Ein echter Reibekuchen-Fan lässt sich aber seine Lieblingsspeise von solchen Widrigkeiten nicht vergällen und so fand ich heraus, wie ich trotzdem Reibekuchen essen kann:
Ich halbiere jetzt die Menge an Insulin, die ich dafür spritze und gebe sie mir erst eine halbe Stunde nach dem Essen. So vermeide ich eine Hypo und behalte den BZ schön dort, wo er sein sollte.
Und wie überprüfe ich nun meine BE-Faktoren/lege sie fest?
Um dieses Thema geht es auf der nächsten Seite...
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